Albert Hitschmann

  • Geb. am} 16.0.1916
  • Geburtsort: Wien
  • Kategorie: Diplomstudiengang
  • Heimatberechtigung: Wien (Wien), Österreich
  • Staatsbürgerschaft: Österreich

Albert Hitschmann war einer der drei Söhne von Karl (1871-1925) und Irma Hitschmann (1887-?, geborene Reich), die 1908 geheiratet hatten. Mit seinen Brüdern Fritz (1909-1963) und Paul Hans (1910-?) wuchs er „in gutbürgerlichen Verhältnissen“ (Herbert Posch) auf. Der Vater, der ebenso wie die Mutter gebürtig aus Böhmen stammte, gehörte den Verwaltungsräten der Aktiengesellschaften Gerhardus & Söhne (seit 1912), die neben der Hauptniederlassung in Wien Filialen in Hamburg, Budapest und Smyrna hatte, der Lederwerke Plunder & Pollak (seit 1918) und der Brünner Schuhfabrik (seit 1924 oder 1925) an.

Albert legte 1934 die Reifeprüfung am Bundesrealgymnasium im 2. Wiener Gemeindebezirk (Kleine Sperlgasse 2C) ab, das sich schräg gegenüber der elterlichen Wohnung befand. Zum Wintersemester 1934/35 schrieb er sich zunächst an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien für Chemie ein, wechselte aber im darauffolgenden Sommersemester zu deren Rechts- und Staatswissenschaftlicher Fakultät. Parallel dazu war Albert zwischen Sommersemester 1935 und Wintersemester 1937/38 an der Wiener Hochschule für Welthandel inskribiert. Hier hatte er unmittelbar vor dem ‚Anschluss‘ Österreichs an das Deutsche Reich die obligatorischen sechs Semester des Diplomstudiengangs abolviert und stand somit kurz davor, den Titel eines Diplomkaufmanns zu erwerben. Dies jedoch wurde dem jüdischen Studierenden nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich verwehrt. Zwar konnte er noch am 14. März 1938 den zweiten Teil der Diplomprüfung ablegen, die Absolvierung der Dritten Prüfung jedoch wurde ihm aufgrund seiner jüdischen Abstammung und Religionszugehörigkeit verwehrt. Außerdem wurde das Gutachten über seine Diplomarbeit nicht eingereicht. Albert hat offenkundig weder ein Abgangs- noch ein Diplomzeugnis erhalten. Auch sein Studium an der Universität Wien, das ebenfalls weit fortgeschritten war, musste er aufgrund der rassistisch motivierten Verfolgung durch das NS-Regime ohne Abschluss verlassen.

Die Wohnung der Familie in der Kleinen Sperlgasse 1/33 verließ Albert Ende Juli 1938 zusammen mit seiner Mutter, um sich in die Tschechoslowakei abzusetzen; in der Hauptstadt dieses Nachbarlandes lebten sie für einige Zeit in der Wohnung, die Irma in der Kartouzská besaß. Vorher war er von der Vermögensverkehrsstelle, einer staatlichen Raubinstitution, gezwungen worden, die Aktienanteile, die er von der erwähnten Lederfabrik Plunder & Pollak im tschechischen Leitmeritz/Litoměřice besaß, der Wiener Außenstelle der Reichsbank „anzubieten“ und auf deren Verlangen hin zu verkaufen.

Auf abenteuerlichen Wegen gelang es Albert letztlich, sich dem mörderischen NS-Regime zu entziehen. Zunächst versuchte er, von Prag aus nach Irland zu gelangen, wo sich sein Bruder Fritz und sein Onkel Richard Hitschmann, der jahrelang für die Anglo-Austrian Bank in Wien gearbeitet und nach dem frühen Tod von Karl Hitschmann die Leitung der Plunder & Pollak AG übernommen hatte, seit September 1937 darum bemühte, eine Niederlassung dieses Unternehmens aufzubauen. Mit der Gründung der Pollack [sic] & Plunder Ireland Ltd. in Carrick-on-Suir, einem Ort im Südosten der Grünen Insel, konnte dieses Ziel am 14. April 1938 zwar im Prinzip erreicht werden. Doch noch während Alberts Einreiseverfahren für Irland lief, wurde jener Teil der tschechoslowakischen Republik, der nach der Annexion des Sudetenlandes durch NS-Deutschland im Herbst 1938 noch übrig geblieben war, im Zuge der Errichtung des ‚Reichsprotektorats Böhmen und Mähren‘ dem ‚Großdeutschen Reich‘ eingegliedert und damit als eigenständiger Staat zerschlagen (ab 16. März 1939). Dadurch wiederum wurden Albert und seine Mutter von den Nationalsozialisten erneut eingeholt. Während Irma am 29. März 1939, also gut zwei Wochen nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei, nach Irland emigrieren konnte, musste Albert bis zum Sommer warten, ehe er das ‚Reichsprotektorat‘ – und damit den deutschen Herrschaftsbereich – verlassen konnte. Im Juli 1939 reiste er nach Bolivien aus. Hier überlebte er den Zweiten Weltkrieg.

Auch nach Kriegsende blieb Albert zunächst in Bolivien sowie in Buenos Aires (Argentinien). In Lateinamerika heiratete er, das Paar bekam mit Carlos Hitschmann einen Sohn. 1958 übersiedelte Albert mit seiner Familie nach Irland, wo seine Brüder Fritz und Paul Hans, der im Zweiten Weltkrieg die deutsche Besetzung der Niederlande überlebt hatte, bereits ihren Lebensmittelpunkt hatten. Eine Fotografie vom 20. Mai 1965, die im Irish Photo Archive überliefert ist, zeigt ihn mit seiner Frau am Rande der International Hide and Skin Conference. Zu diesem Zeitpunkt dürfte Albert mit seiner Familie in Waterford gewohnt haben. Längstens bis zur Auflösung des Familienunternehmens im Jahr 1985, das zwischenzeitlich mit drei anderen Lederunternehmen zu Irish Leathers fusioniert worden war, übte er zusammen mit seinem Bruder Fritz und seinem Sohn Carlos die Geschäftsführung in der Pollack & Plunder Ireland Ltd. aus. Zeitpunkt und Ort seines Todes und seiner Bestattung konnten trotz intensiver Recherchen nicht eruiert werden.

Während Albert selber und der überwiegende Teil seiner Familie die NS-Zeit überlebten, wurden die Geschwister von Alberts Mutter Opfer der Shoah; beide wurden im Juni 1942 von ihren jeweiligen Wohnorten im ‚Reichsprotektorat‘ ins Generalgouvernement gezwungen und ermordet. Alberts Onkel Karl (auch Karel) Reich (geb. am 21. November 1890 in Ledetsch/Ledeč nad Sázavou) wurde am 9. Juni 1942 von Kolín zunächst ins Ghetto Theresienstadt/Terezín deportiert und von dort aus drei Tage später ins Vernichtungslager Sobibór weiter transportiert. Und Alberts Tante Marie Taussig (bzw. Taussigová) wurde am 10. Juni 1942 von Prag nach Lublin deportiert. In beiden Fällen sind die Todesdaten nicht bekannt, doch fest steht, dass die beiden Angehörigen von Albert Hitschmann das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht erlebt haben.

 

Autor: Johannes Koll

Bilder

Quellenhinweise

Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Studierendenkarteikarte und Alte Prüfungsliste.
Herbert Posch: Eintrag zu Albert Hitschmann in: Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938, https://gedenkbuch.univie.ac.at/page/1/person/albert-hitschmann [20. Februar 2025].
Zentralblatt für die Eintragungen in das Handelsregister, 11. Jg., Nr. 37 vom 8. Mai 1912, S. 469, Nr. 6750.
Zentralblatt für die Eintragungen in das Handelsregister, 17. Jg., Nr. 102 vom 21. Dezember 1918, S. 1194, Nr. 11149.
Compass. Finanzielles Jahrbuch 1925, Bd. 2: Čechoslovakei, 58. Jg., Prag 1925, S. 904.
Universität Wien, Universitätsarchiv, Nationale Albert Hitschmann. Für den Hinweis danke ich Dr. Herbert Posch (Forum Zeitgeschichte der Universität Wien).
Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs, GZ MA 8 – B-MEW - 483310/2013.
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundesministerium für Finanzen, Vermögensverkehrsstelle, Vermögensanmeldung 31876.
Lili Zách: Irish Perceptions of National Identity in Austria-Hungary and its Smaller Successor States, 1914-1945, Dissertation National University of Ireland, Galway 2015, S. 221-223, https://researchrepository.universityofgalway.ie/server/api/core/bitstreams/9f0454f6-4585-4ea8-8645-acc02e8766b8/content [27. Februar 2025].
Irish Photo Archive, Sign. C514-418, http://www.irishphotoarchive.ie [28. Februar 2025].
Yad Vashem: Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer, ID 4867332 zu Karl Reich und ID 4878795 zu Marie Taussig, https://collections.yadvashem.org/de/names/4867332 bzw. https://collections.yadvashem.org/de/names/4878795 [20. Februar 2025], jeweils unter Bezugnahme auf das Theresienstädter Gedenkbuch (Terezinska Pametni Kniha, Prag 2000).
Geni.com, Eintrag von Eli Israeli zu Karl Reich, http://www.geni.com/people/Karl-Reich/6000000005770323324 [20. Februar 2025], Stand vom 30. April 2022.
Geni.com, Eintrag von einer anonymen Person zu Marie Taussig, http://www.geni.com/people/Marie-Taussig/6000000020235408667 [20. Februar 2025], Stand vom 30. April 2022.

Feedback senden

Erweiterte Suche