a.o. Prof. Dr. Adolf Jolles

  • Geb. am 09.11.1862
  • Geburtsort: Warschau (Warszawa), Österreich
  • Kategorie: Beschäftigte
  • Heimatberechtigung: Wien (Wien), Österreich

Adolf war Sohn von Fabian Jolles und dessen Ehefrau Pauline (geborene Fichtenholz).

Er studierte an der Universität Breslau, 1887 schloss er seine Promotion zum Chemiker ab. Nach vorübergehender Tätigkeit am amtlichen Laboratorium der Stadt Breslau und am Hygienischen Institut der Universität Wien eröffnete er 1890 mit seinem älteren Bruder, dem Mediziner Dr. Maximilian Jolles, ein chemisch-mikroskopisches Laboratorium; nach dem Tod seines Bruders (1914) leitete er das Laboratorium in der Türkenstraße 9 (9. Wiener Gemeindebezirk) alleine. Außerdem war er ein vom Handelsgericht bestellter Sachverständiger, Schätzmeister für Lebensmittelchemie und Redakteur der Zeitschrift für Nahrungsmittel-Untersuchung und Hygiene (1887-1898, danach: Österreichische Chemiker-Zeitung). 1893 beriet Adolf Jolles die montenegrinische Regierung zur Einrichtung einer modernen, hygienischen Trinkwasserversorgung der damaligen Hauptstadt Cetijne; hierfür wurde er mit einem Orden geehrt. 1896 wurde Jolles Dozent für Chemie und Mikroskopie der Nahrungs- und Genußmittel am Technologischen Gewerbemuseum in Wien. Ab 1918 war er zudem als Dozent für chemische und mikroskopische Übungen in der markttechnischen Beurteilung der wichtigsten Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände an der k.k. Exportakademie tätig, aus der 1919 die Hochschule für Welthandel hervorgehen sollte. Hier erhielt Jolles 1931 zusätzlich die Lehrbefugnis für Technologie, wiederum unter besonderer Berücksichtigung der markttechnischen Untersuchung und Beurteilung der wichtigsten Nahrungs- und Genußmittel. Auch in seinen Publikationen standen chemische und biologische Aspekte von Vitaminen und Lebensmitteln im Vordergrund. 1935 wurde Jolles aufgrund einer Entschließung des damaligen Bundespräsidenten Wilhelm Miklas der Titel eines außerordentlichen Professors verliehen.

Am 3. Juli 1892 heiratete Adolf Jolles Rosa Geiringer, die am 13. Juli 1868 als zehntes von elf Kindern des Wiener Textilkaufmanns David Gieringer (gest. am 25. Mai 1898 im 74. Lebensjahr in Wien) und dessen Frau Theresia (geborene Oppenheim, gestorben am 25. April 1912 in Wien im Alter von 77 Jahren) zur Welt gekommen war. Die Trauung fand statt in der Wohnung von Rosas Eltern in der Gloriettegasse (Wien-Hietzing, 13. Gemeindebezirk). Das Ehepaar Jolles hatte zwei Töchter: Gertrud (geb. 22. Januar 1895 in Wien, gest. 9. November 1996), die später als renommierte Konzertpianistin auftrat, und Paula (geb. 3. Juli 1901 in Wien, gest. 2008 in Kalifornien), die in den dreißiger Jahren in der Wiener Hauptsynagoge in der SeitenstettengasseErnest Freund heiratete.

Nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs (März 1938) wurde dem angesehenen jüdischen Wissenschaftler die Lehrbefugnis entzogen. Entsprechend allgemeiner rechtlicher Vorgaben wurde Adolf Jolles ab April 1939 gezwungen, den zusätzlichen Vornamen Israel zu tragen, seine Frau den Vornamen Sara; zusammen mit der Verpflichtung, auf Kleidungsstücken den gelben Stern zu tragen, diente dies der Stigmatisierung der jüdischen Bevölkerung.

Darüber hinaus musste das Ehepaar Jolles bei der sogenannten Vermögensverkehrsstelle in Wien die Vermögensanmeldung einreichen, zu deren Abgabe alle Jüdinnen und Juden vom NS-Regime durch eine Verordnung gezwungen worden waren. Damit sicherte sich der nationalsozialistische Raubstaat die Verfügung über Häuser bzw. Wohnungen, die Adolf und Rosa Jolles in Weidling, Brunn am Gebirge und Wien besaßen. Ihr Haus in Berlin-Mariendorf (Friedensstraße 6) riss 1941 das Gaurechtsamt der dortigen NSDAP an sich.

Am 13. August 1942 wurde Adolf zusammen mit seiner Frau aus der Wohnung in der Peregringasse 1/13 (9. Wiener Gemeindebezirk) vertrieben und ins Ghetto Theresienstadt/Terezín deportiert. Mit der Deportation zog das Großdeutsche Reich das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen des Ehepaars Jolles ein. Nicht lange nach ihrer Deportation kam Rosa am 7. September in Theresienstadt ums Leben, Adolf starb ebendort am 13. November. Die Angabe der „Todesfallanzeige“, Herz- und Altersschwäche sei die Todesursache des 80-jährigen Mannes gewesen, verharmlost die entsetzlichen hygienischen und sonstigen Zustände im Theresienstädter Ghetto. Die tatsächliche Todesursache wird sich nie eruieren lassen.

Der Tochter Gertrud, die am 10. Oktober 1920 ebenfalls im Seitenstettentempel den Bankdirektor Dr. Kurt Epler (1. April 1891 bis 22. November 1960) geehelicht hatte und mit ihm Fernande zur Tochter hatte, gelang es, mit ihrer Familie das Großdeutsche Reich zu verlassen. Nachdem ihr Ehemann Kurt, der ebenso wie dessen Vater Sigmund Epler (geb. 1859 in Mährisch-Ostrau/Moravská Ostrava) Freimaurer war, im Juli 1938 aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Judentum seine Stellung bei der Österreichischen Länderbank verloren hatte, gab die Familie die Wohnung in der Engelsberggasse 5 (3. Wiener Gemeindebezirk) auf und emigrierte am 14. Dezember 1938 in die Niederlande. Drei Monate später übersiedelte man nach England, wo Kurt ungeachtet der Tatsache, dass er Verfolgter des NS-Regimes war, nach Beginn des Zweiten Weltkriegs kurzzeitig als „feindlicher Ausländer“ („enemy alien“) interniert wurde. 1940 exilierte Familie Epler in die USA. Hier amerikanisierte Kurt seinen Vornamen in Curtis D.

Nach Kriegsende wurde die Entziehung des Vermögens von Adolf und Paula Jolles von der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland mit Bescheid vom 15. September 1949 für ungültig erklärt. Die Liegenschaften, die sich das NS-Regime widerrechtlich angeeignet hatte, wurden an die Töchter Paula (damals wohnhaft in Connecticut) und Gertrude (damals wohnhaft in New York) rückgestellt.

 

Autor: Johannes Koll

Quellenhinweise

Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 3, Wien 1965, S. 128, online unter http://www.biographien.ac.at/oebl_3/128.pdf [25. Juli 2014].
Georg Gaugusch: Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wien 1800-1938, Bd. 1: A – K (= Jahrbuch der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft „Adler“ – Wien, 3. Folge, Bd. 16), Wien 2011, S. 859.
Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger (…) für die k.k. Reichs-Haupt- und Residenzstadt Wien (…) 1892, 34. Jg., Wien o.J., S. 619.
Cetinje-Mojgrad.org: Izložba dokumenata Cetinjski vodovod 1891-2016, http://www.cetinje-mojgrad.org/?p=14376 [6. Dezember 2017].
Neue Freie Presse, Abendblatt Nr. 12124 vom 25. Mai 1898, S. 4 (David Geiringer) und Abendblatt Nr. 17123 vom 25. April 1912, S. 6 (Theresia Geiringer).
FamilySearch (http://www.familysearch.org [12. Januar 2018]): Trauungs-Buch für die Israel[itische] Cultusgemeinde in Wien 1892, Nr. 185.
Israelitische Kultusgemeinde Wien: Index der jüdischen Matriken Wien und Niederösterreich, Nr. 204184 (Eheschließung Kurt und Gertrud Epler), Nr. 74544 (Tochter Gertrud) und Nr. 74555 (Tochter Paula).
Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs, GZ MA 8 – B-MEW- 833998/2014.
Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Protokoll über die Sitzung des Professorenkollegiums vom 21. Mai 1935 und Präsidialakt 56/1938, Schreiben von Rektor Bruno Dietrich an Adolf Jolles vom 3. Mai 1938.
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundesministerium für Finanzen, Vermögensverkehrsstelle, Vermögensanmeldungen 46836 (Adolf Jolles) und 46835 (Rosa Jolles).
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Finanzlandesdirektion 18211.
Yad Vashem: The Central Database of Shoah Victims’ Names, http://db.yadvashem.org/names/search.html?language=en [24. Juli 2014], Nr. 1012731 und 1400759 zu Adolf, Nr. 1015460, 1400762 und 4768922 zu Rosa Jolles.
Opferdatenbank des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (http://www.doew.at ) [7. Dezember 2023].
E-Mail von Fernande Epler Ross (Enkelin von Adolf Jolles) an PD Dr. Johannes Koll (WU Wien) vom 5. Januar 2018.
Center for Jewish History: Interview von Stefan Haider mit Fernande Epler Ross vom 7. Juli 2015, Leo Baeck Institute (New York), Nr. 3381971.
Günter K. Kodek: Unsere Bausteine sind die Menschen. Die Mitglieder der Wiener Freimaurerlogen (1869-1938), Wien 2009, S. 80 f.

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